Liza Pflaum | Fotos: Vilma Pflaum / Moritz Sadowski
Die Hilfsbereitschaft und Anteilnahme nach dem Angriff Putins auf die Ukraine war und ist groß. Schon in den ersten Kriegstagen sind Menschen den Ankommenden entgegengeeilt, die zum Teil nur mit Tüten oder kleinen Koffern die Grenzen überquerten – Frauen mit weinenden Kindern an der Hand, Ältere, denen das Gehen schwerfiel. Wildfremde nahmen sich tröstend in den Arm, ein Pianist hat sein Instrument am Grenzzaun aufgestellt, um den Schrecken des Krieges mit Musik zu vertreiben. Diese Bilder hatten in all dem Leid auch etwas Tröstliches. Menschen sind vor Bomben und Krieg geflohen, sie haben alles zurücklassen müssen, Freunde, Partner*innen oder Angehörige verloren – aber sie wurden mit diesen traumatischen Erfahrungen und ihrer Verzweiflung nicht allein gelassen.
Für viele Geflüchtete in Europa sieht die Realität jedoch ganz anders aus. Menschen nicht-weißer Hautfarbe wurde die Flucht aus der Ukraine erschwert; in Lagern in Griechenland leben immer noch zehntausende Geflüchtete ohne jegliche Zukunftsperspektive – und in den Wäldern zwischen Belarus und Polen harren ganze Familien unter menschenunwürdigen Bedingungen aus. Auch diese Menschen sind oft aus Kriegs- und Krisengebieten geflohen, viele von ihnen aus Syrien und Afghanistan.
Unsere Förderpartnerin SEEBRÜCKE gehörte zu den ersten Organisationen, die Relocation für Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, organisiert haben. Und sie war eine der ersten Akteure, die auf Ungleichbehandlung an den Grenzen hinwiesen. Seit Beginn des Konflikts erinnert sie zudem unermüdlich daran, dass wir über der überwältigenden Hilfsbereitschaft für die Geflüchteten aus der Ukraine nicht die vielen anderen Menschen vergessen dürfen, die in Lagern, auf dem Meer und im Niemandsland an den Grenzen der EU verzweifeln. Wir haben Liza Pflaum, Mitbegründerin der SEEBRÜCKE, um ihre Gedanken zur aktuellen Lage gebeten. Sie hat Unterstützung für Menschen direkt nach Beginn des Krieges an der polnisch-ukrainischen Grenze organisiert und uns, trotz Zeitmangels und sehr viel Arbeit, drei Fragen beantwortet (vielen Dank dafür, Liza!):
Du bist durch Dein Engagement sehr nah dran am furchtbaren Geschehen in der Ukraine. Wie erlebst Du die aktuelle Situation für Geflüchtete in Europa?
Zunächst einmal ist es natürlich schrecklich für alle Menschen, die jetzt ihre Heimat verlassen müssen. Wir sehen wieder einmal die grausamen Folgen und großen Opfer, die durch Kriege entstehen. Tausende Menschen müssen sich nun unfreiwillig auf die Flucht begeben. Gleichzeitig erleben wir auch eine Art Revolution in der Migrationspolitik: Menschen, die aus der Ukraine fliehen, haben komplett andere Möglichkeiten als z. B. Menschen, die aus dem Syrischen Bürgerkrieg geflohen sind und in Europa Schutz suchen. Seit Jahren handeln die europäischen Nationalstaaten das erste Mal einstimmig in Migrationsfragen und zeigen große Aufnahmebereitschaft und Solidarität. Es passiert genau das, was passieren muss: Schnell und unbürokratisch wird alles dafür getan, Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, in Sicherheit zu bringen.
Diese überwältigende Hilfsbereitschaft stimmt hoffnungsvoll. Doch die SEEBRÜCKE fordert, darüber nicht andere Geflüchtete zu vergessen. Wie können wir es schaffen, uns für alle Schutzsuchenden zu engagieren, ohne dass Menschen gegeneinander ausgespielt werden?
Ich glaube, wir müssen uns bewusst machen, was gerade möglich ist und jetzt einfordern, dass das auch für alle anderen Menschen, die fliehen, möglich sein muss. Zudem sollten wir uns nicht auf die derzeitige Solidarität verlassen. Auch jetzt besteht ein großes Risiko für das Erstarken von fremdenfeindlichen Ressentiments. Gegen Antislawismus in der Gesellschaft muss bereits jetzt präventiv vorgegangen werden.
Welche Lehren können wir aus der aktuellen Lage für die europäische Migrationspolitik ziehen? Und welche Forderungen hast Du an politische Entscheidungsträger*innen?
Meine größte Lehre ist: Alles ist möglich! Egal was Politiker*innen in den letzten Jahren für nicht realisierbar erklärt haben – heute sehen wir, dass alles, was wir in den letzten Jahren gefordert haben, umgesetzt werden kann: Menschen können legal einreisen, schneller und unbürokratischer Schutz ist möglich, ein direkter Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt ist möglich, und Europa ist in der Lage viele Menschen in kürzester Zeit aufzunehmen. Das alles gilt es jetzt auch für Geflüchtete aus anderen Kriegs und Krisengebieten einzufordern.
Dieser Beitrag ist in unserem Newsletter Schöpflins Schaufenster 01/2022 erschienen. Keine Ausgabe mehr verpassen? Hier geht es zur Newsletter-Anmeldung.