Seit 2019 fördert die Schöpflin Stiftung das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e. V. (SEND). SEND vernetzt Sozialunternehmen und setzt sich für bessere politische Rahmenbedingungen ein. Mit dem #WirVsVirus-Hackathon hat SEND mit anderen Organisationen und unter der Schirmherrschaft der Bundesregierung Lösungen für Corona-bedingte Herausforderungen angestoßen. Im Mai 2020 folgte ein großer Erfolg: Der Bundestag hat einen Antrag zur Förderung Sozialer Innovationen beschlossen. Im virtuellen Interview sprachen Geschäftsführerin Katrin Elsemann und der Vorstandsvorsitzende Markus Sauerhammer über Lehren aus Corona und die Potentiale von sektorübergreifender Zusammenarbeit.
Wie geht es Euch in Zeiten von Corona und wie hat sich die aktuelle Situation auf Eure Arbeit ausgewirkt?
Katrin Elsemann: Corona hat uns als Netzwerk natürlich sehr stark betroffen. Viele Sozialunternehmen haben mit großen Umsatzeinbußen zu kämpfen. Wir haben es daher als unsere Aufgabe gesehen, die Dringlichkeit und Notwendigkeit von Unterstützungsmöglichkeiten für diese Zielgruppe deutlich zu machen. Die Krise hat noch einmal vor Augen geführt, dass es keine passenden Förderungsinstrumente für Sozialunternehmen gibt. Beim großen Rettungsschirm sind viele durchs Raster gefallen. Aber wir haben nicht nur auf die schwierige Situation von Social Entrepreneurs hingewiesen, sondern auch aufgezeigt, wo sie aktuell gute Lösungen anbieten. Hier war auch der #WirVsVirus-Hackathon entscheidend. Als Organisation sind wir natürlich, wie alle anderen, in einer herausfordernden Situation. Wir sind ein kleines Team und mussten lernen, noch flexibler zu arbeiten und vor allem zu priorisieren.
Markus Sauerhammer: Ich glaube, dass wir trotzdem besser aufgestellt waren als einige andere, weil wir davor auch schon viel digital gearbeitet haben. Allerdings hat die Krise noch einmal einen neuen Schub gegeben, für unsere Weiterentwicklung als Team und für unsere Arbeit. Was sich mit dem #WirVsVirus-Hackathon so plötzlich ergeben hat – dass Vertreter*innen aus Bundesregierung, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam an sektorübergreifenden Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen arbeiten – darauf hätten wir unter normalen Umständen noch Jahre hingearbeitet.
Diese Rubrik unseres Newsletters heißt »Über Experiment-Expert*innen«. Welche Assoziationen verbindet Ihr mit dem Begriff »Experiment«?
Markus Sauerhammer: In meinem Leben wurden Utopien real. Ich bin ursprünglich Landwirt, kleines Dorf, bildungsferne Schicht. Dann bin ich in die Welt der Social Start-Ups hineingestolpert. Was ich hier erlebe, ist eine wahnsinnige Gestaltungskraft - und die ist nur durch Mut zum Experimentieren möglich.
Katrin Elsemann: Für mich hat Experimentieren auch sehr viel mit einer inneren Haltung zu tun: Ausprobieren, keine Angst haben Fehler zu machen oder Entscheidungen zu treffen. Lieber eine falsche Entscheidung treffen als gar keine, denn nur dann kann man aus Fehlern lernen und es das nächste Mal besser machen. Diese unternehmerische Haltung spiegelt sich auch im Social Entrepreneurship wider.
SEND möchte bessere Rahmenbedingungen für Sozialunternehmer*innen in Deutschland schaffen. Welche persönlichen Erfahrungen haben Euch dazu gebracht, Euch in dieser Form zu engagieren?
Markus Sauerhammer: Bei mir waren es meine Erfahrungen bei der Crowdfunding-Plattform Startnext. Hier habe ich gesehen, welche Ideen entstehen und umgesetzt werden können, wenn die Community entscheidet. Es gibt da draußen viele Zukunftsgestalter*innen, die schon viel weiter sind als klassische Ideenförderer und -finanzierer. Mir wurde bewusst, dass wir noch viel mehr erreichen können, wenn Akteur*innen mehr gefördert würden, die bei klassischen Finanzierungsmodellen nicht berücksichtigt werden. Wir haben darüber oft diskutiert und irgendwann festgestellt: Alle schimpfen auf die Politik, aber niemand spricht mit den Entscheidungsträger*innen. Das wurde meine Mission: Dialog schaffen, Brücken bauen.
Katrin Elsemann: Ich war viele Jahre lang in der Entwicklungszusammenarbeit tätig, in großen Multi-Stakeholder-Projekten im Globalen Süden und habe gesehen, dass groß konzipierte Projekte mit einem Nord-Süd-Ansatz und weißem Expert*innenwissen oft nicht nachhaltig sind. Gleichzeitig habe ich vor Ort viele unternehmerische Initiativen kennengelernt, die die Partizipation der Zielgruppen in den Mittelpunkt gestellt haben bzw. von ihnen selbst initiiert wurden. Das hat mich sehr inspiriert. Wieder zurück in Deutschland wollte ich selbst anpacken und mit zwei Mitstreiterinnen ein Sozialunternehmen aufbauen. Erst dadurch – und vor allem nachdem ich mit den Initiativen gescheitert bin – hat mein Weg zu SEND geführt. Denn unser Scheitern hing auch damit zusammen, dass die notwendigen Rahmenbedingungen gefehlt haben.
Könnt Ihr einmal definieren, was Ihr unter Social Entrepreneurship oder Sozialunternehmertum versteht?
Kartin Elsemann: Nach unserer Definition geht es bei Social Entrepreneurship darum, dass gesellschaftliche Herausforderungen erkannt werden und mit innovativen Lösungen versucht wird, sie anzugehen. Entscheidend sind drei Faktoren: das soziale Ziel, die innovative Herangehensweise und eine Governance, die damit im Einklang steht. Man kann unserer Meinung nach nur dann ein Social Entrepreneur sein, wenn das Unternehmen insgesamt sozial nachhaltig aufgestellt und transparent ist.
Markus Sauerhammer: Für mich ist Social Entrepreneurship vor allem ein Transformationselement. Wenn wir uns die Geschichte anschauen, dann können wir feststellen, dass große Umbruchsphasen immer auch eine Welle sozialer Innovationen nach sich gezogen haben. Hier brauchte es immer Menschen, die mit guten Ideen vorangehen. Das sind für mich heute die Sozialunternehmer*innen.
SEND hat schon vor der jetzigen Situation bessere Rahmenbedingungen für Sozialunternehmen in Deutschland gefordert. Nun hat die Politik reagiert. Gehen Social Entrepreneurs sogar langfristig gestärkt aus der Corona-Krise hervor?
Katrin Elsemann: Ich glaube, das ist noch zu schwer zu sagen, wir sind mitten in der Krise. Aber wir haben definitiv Prozesse angeschoben. Die werden nicht kurzfristig greifen, aber es werden sich hoffentlich langfristig neue Strukturen und Förderprogramme entwickeln. Es wird nun gesehen, dass wir nicht wie bisher weitermachen können und dass wir Innovationen brauchen, um in solchen Krisen zu bestehen. Da sehe ich tatsächlich eine Chance für den Sektor und für Sozialinnovationen insgesamt.
Markus Sauerhammer: Ich sehe große Chancen. Es stimmt: Viele Sozialunternehmen hat es hart getroffen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass der Sektor insgesamt gestärkt aus der Krise hervorgehen wird. Es wurden Schwachstellen im System aufgedeckt, die nicht mehr ignoriert werden können.
Mit dem vom Bundestag am 29. Mai beschlossenen Antrag zur Förderung sozialer Innovationen habt Ihr einen wichtigen Meilenstein erreicht. Aber wie geht es jetzt weiter?
Markus Sauerhammer: Es liegt nun ein ganz klarer Auftrag vom Parlament an die Bundesregierung vor. Wir haben in unserem Statement darauf hingewiesen, dass wir uns an einigen Punkten Nachbesserungen wünschen und wir sind hier im konstruktiven Austausch mit einzelnen Akteur*innen. Jetzt wird eine Infrastruktur aufgebaut, Innovationswettbewerbe sollen ausgeschrieben und wirkungsorientierte Investitionsmechanismen auf den Weg gebracht werden. Auf diese Entwicklungen kann aufgebaut werden, der Prozess ist angestoßen und unumkehrbar.
Katrin Elsemann: Es ist ein Meilenstein. Aber es gibt sicherlich genug Anträge in der Geschichte der Bundespolitik, die in dem Status geblieben sind, wo wir jetzt stehen. Entscheidend ist, dass wir auf die Umsetzung pochen und zeigen, welche Vorschläge es im Sektor bereits gibt. Wir müssen uns als Netzwerk positionieren und sicherstellen, dass die vorhandenen Lösungen gesehen und auch genutzt werden. Ganz wichtig ist: Wir handeln hier nicht isoliert. Wir möchten erreichen, dass maximal viele Akteur*innen eingebunden werden, die zum Thema soziale Innovationen beitragen können, auch wenn sie keine SEND-Mitglieder und vielleicht nicht einmal Social Enterprises sind.
Ihr möchtet nicht nur die Interessenvertretung der Social Entrepreneurs in Deutschland sein, sondern setzt sehr stark auf Kooperation und intersektorale Zusammenarbeit. Wer kann oder sollte sich Euch anschließen und warum?
Markus Sauerhammer: #GemeinsamWirken hat uns von Anfang an begleitet. Das gilt nicht nur für unsere Mitglieder, sondern auch für andere Akteur*innen und Sektoren. Wir haben z. B. immer darauf gesetzt, die wichtigsten Finanzierungspartner*innen miteinzubinden und Brücken zu Verwaltung und Politik zu bauen. Es ist wichtig, dass möglichst viele Teil des Lösungsprozesses sind, gerade jetzt. Wir haben eine historische Chance durch die aktuelle Situation, aber die sollten wir gemeinsam ergreifen.
Katrin Elsemann: Wir haben sichtbar gemacht, dass viele Changemaker und ihre Wirkung durch die aktuelle Krise akut bedroht sind. Die Politik hört jetzt zu, dieses Momentum müssen wir nutzen. Es gibt vielfältige Möglichkeiten das Feld und auch SEND zu unterstützen. Wir versuchen, viele verschiedene Akteur*innen miteinzubeziehen, weil wir wissen, dass unterschiedliche Perspektiven sehr wichtig sind, um große Veränderungen zu erreichen. Wir sind immer auf der Suche nach weiteren Partner*innen, auch und gerade für die Programme und Aktivitäten, die wir im nächsten Jahr bis zur Bundestagswahl planen. Man kann uns jederzeit ansprechen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Kontakt SEND e.V.:
Katrin Elsemann: katrin.elsemann@send-ev.de
Markus Sauerhammer: markus.sauerhammer@send-ev.de
Dieser Beitrag ist in unserem Newsletter »Schöpflins Schaufenster« Ausgabe 03/2020 erschienen.
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