Sagen Sie, diese Schöpflin Stiftung macht ja einiges. Was zum Beispiel ist denn dieser Werkraum Schöpflin und wo steht er überhaupt?
Werkraum-Team: Der Werkraum Schöpflin ist der Kultur- und Debattenort der Schöpflin Stiftung in Lörrach-Brombach, einem kleinen Teilort der Kreisstadt im Südwesten der Republik, nahe den Landesgrenzen zur Schweiz und nach Frankreich. Brombach hat etwa 7.000 Einwohner*innen, in Lörrach sind es zusammen knapp 50.000. Die nächst größeren Städte sind Freiburg, Basel oder Mulhouse.
Und was machen die da?
Der Werkraum Schöpflin bietet ein Programm mit gesellschaftspolitischen Themenreihen, eigenen Theaterproduktionen, Konzerten, interaktiven Ausstellungen, Performances, Wortwechseln, kreativen Workshops und Leseclubs für Kinder und Jugendliche und aktuell sich wandelnden Schulprojekten. Themen sind beispielsweise Ernährung und Massentierhaltung, Krieg und Flucht, Demokratie, Digitalisierung, Angst oder die Frage nach dem Glück. Ohne eigenes künstlerisches Ensemble arbeitet der Werkraum mit Künstler*innen wiederholt intensiv zusammen, die Theaterstücke schreiben oder Regie führen, Musik komponieren und aufführen, Schau- und Puppenspiel oder die Konzeption von Ausstellungen übernehmen, Workshops leiten und immer wieder mit ihren Ideen herausfordern.
Was macht das so experimentell?
Es ist ein anderes Setting, ob eine Puppentheaterinszenierung an einem Ort wie Halle an der Saale gezeigt wird, wo ein Puppentheater seit mehr als 60 Jahren ein Genre weltberühmt gemacht hat – oder ob der Werkraum in Brombach Ähnliches versucht. Ob Versuch oder Experiment – keine Kulturinstitution kann sicher vorhersagen, ob es gelingt: Ob es künstlerisch überzeugt, ob sich ein Publikum dafür interessiert, ob es berührt, provoziert, aufregt, verändert – oder eben nicht.
Gibt es Beispiele, was geklappt hat und was auch nicht?
Als der Werkraum 2012 eine szenische Lesung aus Jonathan Safran Foers erzählendem Sachbuch »Tiere essen« auf die Bühne brachte, war es schwierig, Publikum dafür zu gewinnen (weil sie sich den Appetit auf »ihr Steak nicht vermiesen lassen wollten«). Die Klassenzimmerinszenierung »Krieg. Stell dir vor, er wäre hier« von Janne Teller, die mit einem Gedankenexperiment uns selbst in die Rolle Geflüchteter versetzt, traf mit mehr als 60 Aufführungen vor allem in Lörracher Schulen, aber auch in Berlin, Hamburg oder Leipzig schon sehr viel deutlicher ins Herz.
Was funktioniert im urbanen Kontext leichter?
Interaktive Performances, wie sie etwa in der Hauptstadt ein großes Publikum erreichen können, erfordern in Lörrach immer wieder außerordentliche Werbeanstrengungen – etwa für die »Konferenz der wesentlichen Dinge« von Pulk Fiktion, in der zwanzig Personen unterschiedlicher Generationen gemeinsam Regeln verhandeln, was sich als tückisch erweisen kann. Oder für »Algorithmen« von Turbo Pascal, eine Performance, in der unsichtbare Rechenvorgänge aus virtuellen Welten in ein räumliches Setting transformiert werden.
Hat der Werkraum auch schon selbst neue Veranstaltungsformen erfunden – und welche anderen Formen zeigen Sie außerdem?
Um Monumentalwerken wie etwa Yuval Noah Hararis »Homo Deus« auch im Werkraum eine Bühne bieten zu können, ließ sich das Werkraum-Team ein Setting mit Hörstationen und Diskussionen in kleinen Gruppen einfallen, das erstaunlich gut funktionierte. Immer wieder versuchen wir, auch Ausstellungen zu realisieren, so mit dem Bilderbuch »Farbe Form Orangensaft« (Design für Kinder, 2012) oder den Portraits zeichnenden Robotern der »Human Study #1 3 RNP« des Künstlers Patrick Tresset.
Wie würden Sie Ihr Publikum beschreiben?
Die Verbindung aus gesellschaftlichen Fragestellungen mit Kunst und Kultur gelingt im Werkraum auf immer wieder andere Weise – und hat dazu geführt, dass unser Publikum besonders diskussionsfreudig ist. Kein Theater, kein Vortrag und keine Lesung, die nicht ausführlich und kontrovers im Plenum und anschließend noch ausgedehnt im Foyer besprochen wird.
Was brauchen Sie unbedingt, um zu experimentieren?
Nicht jede Veranstaltung gelingt, nicht jede Idee funktioniert – manchmal heißt es aber auch »nur«, nicht locker zu lassen und nach einer Puppentheatervorstellung im Abendprogramm für ein erwachsenes Publikum nicht gleich wieder aufzugeben, weil der Saal nicht ausgebucht war. In solchen Momenten brauchen wir Vertrauen und Gelassenheit der Stiftung, was sie immer wieder beweist – die Stiftung fordert geradezu das Experiment, kalkuliert durchaus das Scheitern ein und setzt darauf, dass nur so Neues entsteht. Nach drei, vier Versuchen gelingt es, das Publikum genügend neugierig zu machen. Neben der Schauspielkunst bedarf es übrigens auch der »Zuschaukunst«, was schon Brecht formulierte; wir würden von Sehgewohnheiten sprechen, die es zu durchbrechen gilt. Schließlich ist es unsere Aufgabe, unsere Zuschauer*innen immer wieder davon zu überzeugen, sich auf Neues und Ungewohntes einzulassen.
Dieser Beitrag ist in unserem Newsletter »Schöpflins Schaufenster« Ausgabe 02/2020 erschienen.
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