Mit ihrer Organisation HateAid setzt sie sich gegen digitale Gewalt ein und verteidigt damit nichts weniger als die Demokratie im Netz. Dafür hat Anna-Lena von Hodenberg Anfang Oktober das Bundesverdienstkreuz erhalten. Was sie trotz einiger Fortschritte besorgt, erzählt sie in unserem Interview.
HateAid will digitale Gewalt eindämmen und Menschenrechte im digitalen Raum stärken. Was war Euer Gründungsmoment – und welche Themen sind seitdem dazugekommen?
Anna-Lena von Hodenberg: Vor der Bundestagswahl 2017 haben meine Mitgründer:innen und ich beobachtet, wie das rechtsextreme Spektrum in sozialen Netzwerken systematisch Stimmung machte: Mit Tausenden Fake-Profilen haben sie Menschen diffamiert, bedroht und gezielt unter Druck gesetzt. Ihr Ziel war es, politische Gegner:innen mit diesen Angriffen zum Schweigen zu bringen und die öffentliche Meinung nach rechts zu rücken. Was mich dabei besonders schockiert hat: wie koordiniert die Angriffe waren und wie leicht sich soziale Netzwerke dafür instrumentalisieren ließen.
Dem wollten wir etwas entgegensetzen und haben 2018 mit HateAid die erste bundesweite Anlaufstelle für Betroffene von digitaler Gewalt gegründet. Heute sind wir eine Menschenrechtsorganisation und leisten neben emotional stabilisierender Beratung und Unterstützung bei der Rechtsdurchsetzung auch Aufklärungsarbeit, um Politik, Justiz und Gesellschaft für die Auswirkungen digitaler Gewalt zu sensibilisieren. Denn digitale Gewalt hat strukturelle Folgen für unsere Demokratie: Wenn Menschen sich aus Angst vor Angriffen aus Debatten zurückziehen, verschiebt das den öffentlichen Diskurs. Polarisierung nimmt zu, extremistische Narrative gewinnen an Raum und demokratische Stimmen werden leiser. Auf diese Weise schränkt digitale Gewalt Meinungsvielfalt und demokratische Teilhabe ein.
Momentan beschäftigen mich vor allem die zunehmenden Fälle bildbasierter sexualisierter Gewalt. Es braucht heute nur wenige Klicks, um mit KI-Apps manipulierte Pornos oder Nacktaufnahmen zu erstellen. Diese Deepfakes werden häufig ohne Wissen oder Zustimmung der Betroffenen online verbreitet. Vor allem junge Mädchen und Frauen sind dieser sexualisierten Gewalt im Internet oftmals hilflos ausgeliefert.
Deshalb setzen wir uns auch für eine verbindliche Plattformregulierung und das Prinzip Safety by Design ein. Also dafür, dass Transparenz, Verantwortung und Schutz von Beginn an in digitale Systeme integriert werden. Doch genau diese Prinzipien stehen derzeit unter Druck: Tech-Milliardäre und rechtspopulistische Akteure versuchen, Regulierung zu schwächen und Plattformverantwortung zurückzufahren. Das ist sowohl für Betroffene gefährlich als auch für die demokratische Öffentlichkeit insgesamt.
Ein großer Teil Eurer Arbeit besteht darin, Social-Media-Plattformen und die politisch Verantwortlichen dazu zu bringen, Menschen vor digitaler Gewalt zu schützen. Ihr habt seitdem einiges erreicht. Worauf bist Du besonders stolz?
Anna-Lena von Hodenberg: Ein ganz besonderer Moment war die wegweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2022. Sowohl das Land- als auch das Kammergericht in Berlin waren damals der Auffassung, dass die Politikerin Renate Künast zum Teil schwere sexistische und gewaltvolle Beleidigungen hinnehmen müsse. Renate Künast hat daraufhin Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das Bundesverfassungsgericht musste sich erstmals mit der Fragestellung auseinandersetzen, was Politiker:innen in den sozialen Netzwerken an Hass aushalten müssen. Das war enorm wichtig, denn die sozialen Netzwerke sind ein öffentlicher Raum mit besonderen Bedingungen. Wenn auf der Straße beleidigt wird, dann bleibt das meist nur für die anwesenden Personen zu hören. Bei sozialen Medien ist das anders: Hier verbreiten sich Inhalte rasend schnell und werden potentiell für Millionen von Menschen sichtbar. Deswegen sind sie auch so ein effektives Mittel für Diffamierungskampagnen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung ganz klar gesagt, dass wir auch die Persönlichkeitsrechte von Politiker:innen schützen müssen, wenn wir wollen, dass sich in Zukunft weiter Menschen für die Demokratie engagieren.
Dieses Urteil war ein Meilenstein. Es hat die Rechtslage für Betroffene digitaler Gewalt gestärkt, Maßstäbe für nachfolgende Verfahren gesetzt und dadurch im Leben vieler Betroffener ganz real etwas verändert. Damit haben wir ein Stück Rechtsgeschichte geschrieben – und darauf bin ich stolz!
Die Dominanz globaler Tech-Konzerne, vor allem ihr Einfluss auf die Meinungsbildung in Deutschland, macht vielen Menschen Sorgen. Welche Wege seht Ihr, dem etwas entgegenzusetzen?
Anna-Lena von Hodenberg:Es geht hier um nichts weniger als die Frage, wie wir den digitalen öffentlichen Raum gestalten wollen: Gilt dort das Fundament der Demokratie – Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit – oder setzen sich Regeln durch, die allein den Geschäftsinteressen mächtiger Tech-Konzerne dienen? Dafür braucht es mehrere Hebel gleichzeitig: Kein Ansatz wirkt isoliert, sondern nur, wenn regulatorische Vorgaben, Plattformgestaltung, Bildungsmaßnahmen und gesellschaftlicher Druck zusammenspielen. Es ist entscheidend, dass gesetzliche Rahmenbedingungen wie der Digital Services Act (DSA) konsequent umgesetzt und kontrolliert werden. Mit dem DSA haben wir in der EU ein Gesetz, dass die Plattformen zu mehr Verantwortung im Netz verpflichten und die Rechte der Nutzer:innen stärken soll. Die EU darf hier nicht einknicken. Der DSA ist nur so wirksam, wie er durchgesetzt wird.
Gesetze allein reichen aber nicht aus: Plattformen müssen bereits bei der Gestaltung ihrer Systeme Verantwortung übernehmen. Das Konzept Safety by Design setzt hier an: Systeme sollten so gestaltet sein, dass Probleme gar nicht erst entstehen. Schutzmechanismen, transparente Algorithmen und wirksame Meldewege müssen integraler Bestandteil der digitalen Infrastruktur sein, nicht Extras, die im Nachhinein hinzugefügt werden – so wie wir es auch bei allen anderen Produkten selbstverständlich erwarten.