Arne Semsrott ist Politik-Aktivist und Leiter des Recherche- und Transparenzportals »FragDenStaat«. Am 16. März war er im Rahmen einer Lesung seines kürzlich erschienen Buchs »Machtübernahme: Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren?« in unserem Kultur- und Debattenort, dem Werkraum Schöpflin, zu Gast. Wir haben ihm im Nachgang drei vertiefende Fragen gestellt.
In Ihrem aktuellen Buch beschreiben Sie Szenarien, in denen rechtsextreme Parteien in Deutschland regieren. Das ist (noch) nicht der Fall. Manche Ihrer Vorhersagen, wie bspw. der Beschluss von Abschiebungen nach Afghanistan, sind dennoch bereits eingetreten. Wie kommt das?
Arne Semsrott: Viele Dynamiken, mit denen die antidemokratische Rechte Politik macht, haben Vorbilder - sei es international oder auch in der deutschen Geschichte. Die politischen Entwicklungen, etwa auch das Vorhaben, manchen Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen zu können, sind nicht grundsätzlich überraschend. Wie schnell das aber passiert, schon. Und natürlich, dass einige Vorhaben nicht von der AfD umgesetzt werden, sondern von anderen Parteien.
Die politischen Prozesse werden zum einen enorm beschleunigt durch die Machtübernahme von Faschisten in den USA. Zum anderen hat die Union im Wahlkampf voll auf Migration gesetzt und damit einen ohnehin schon überhitzten Diskurs weiter angefacht. Aber auch beim Thema Bürgergeld oder im Bereich Klimaschutz sehen wir, dass Solidarität und Nächstenliebe gerade offenbar nicht großgeschrieben werden.
Nachdem die große Machtübernahme in dieser Bundestagswahl ausgeblieben ist – was ist Ihre größte Sorge mit Blick auf Rechtsextremismus in Deutschland?
Arne Semsrott: Viel gefährlicher als die AfD ist eine Union oder auch ein SPD, die AfD-Politik machen. Meine größte Sorge ist, dass demokratische Institutionen aus der Mitte heraus angegriffen werden. Die kleine Anfrage der Unionsfraktion zu zivilgesellschaftlichen Organisationen wie den Omas gegen Rechts war darauf ein Vorgeschmack, fürchte ich. Extrem bedenklich ist auch der jüngste Vorstoß aus den Reihen der CDU, das Informationsfreiheitsgesetz wieder abzuschaffen. Es ist eines der wirksamsten Transparenzwerkzeuge unserer Demokratie, weil es allen Bürgerinnen und Bürgern das Recht gibt, von Behörden die Veröffentlichung von Dokumenten zu verlangen – seien es E-Mails, interne Weisungen oder Verträge.
Was können Menschen tun, die sich angesichts der gestiegenen Zustimmung zu rechtsextremen Haltungen ohnmächtig fühlen?
Arne Semsrott: Es ist vollkommen normal und okay, sich erst einmal ohnmächtig zu fühlen. Aber wenn man sich umschaut, merkt man: Es geht derzeit sehr vielen Menschen so. das bedeutet: Wir sind wirklich sehr viele. Ich glaube, besonders wirksam ist es derzeit, sich um demokratische Kerne zu versammeln - Nachbarschaftscafés, Kulturräume, Geflüchteten-Initiativen.
Diese Kerne zu verteidigen und zu stärken, wird in den nächsten Jahren besonders wichtig. Und in diesen Kernen wird die wichtige Demokratie-Arbeit gemacht.