Ein Jahr Cannabis-Teillegalisierung - Zwischenfazit der Villa Schöpflin, Foto: Esteban Lopez
Foto: Esteban Lopez

Wenn Kiffen erlaubt ist: Eindrücke aus der Suchtprävention

Die Villa Schöpflin, eine Tochtereinrichtung der Schöpflin Stiftung, begleitet Jugendliche und ihre Familien seit über 20 Jahren mit Beratungs- und Präventionsangeboten rund um das Thema Cannabis. Im Interview gibt die Gesundheitspädagogin und Präventionsfachkraft Lena Wehrle Einblicke in das erste Jahr nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes.

Im April 2024 ist der Cannabiskonsum in Deutschland teillegalisiert worden. Die Villa Schöpflin hat das Gesetz kritisiert – aus welcher Sorge heraus?

Grundsätzlich begrüßen wir die Entkriminalisierung von Cannabiskonsumierenden – denn strafrechtliche Verfolgung führt häufig zu Stigmatisierung und sozialem Ausschluss. Jetzt können wir offener mit Konsumierenden in Kontakt treten und zielgerichtete Präventionsmaßnahmen umsetzen. Dennoch haben wir auch einige Bedenken in Bezug auf das neue Gesetz, die wir öffentlich kommuniziert haben. 

Kritisch sehen wir vor allem, dass Menschen unter 21 Jahren Cannabis legal erwerben können. Das Gehirn befindet sich in diesem Alter noch in einer sensiblen Entwicklungsphase, die durch das Rauschmittel beeinträchtigt werden kann. Eine weitere Sorge ist, dass Jugendliche die Risiken weniger wahrnehmen oder richtig einschätzen da der Konsum durch die Teillegalisierung zunehmend als gesellschaftlich »normal« erscheint. 

Besonders wichtig ist deshalb, dass das Gesetz den Zugang zur Substanz für Minderjährige klar regelt und weiterhin erschwert. In diesem Zusammenhang fordern wir auch eine Anpassung des Jugendschutzgesetzes, damit der Schutz junger Menschen dauerhaft gewährleistet bleibt.

Wo sehen Sie sich nach einem Jahr bestätigt?

Im vergangenen Jahr haben wir eine zunehmende Verunsicherung in vielen Familien beobachtet – insbesondere bei Eltern und weiteren wichtigen Bezugspersonen. Es tauchten vermehrt Fragen auf wie: »Wie schädlich ist Cannabiskonsum eigentlich?« oder »Welche Auswirkungen hat der Konsum konkret?« Gleichzeitig wird in vielen Familien und Freundeskreisen nun viel offener mit dem Thema umgegangen. Der eigene oder beobachtete Konsum wird häufiger thematisiert und die persönliche Haltung dazu hinterfragt. 

Auch im öffentlichen Raum ist Cannabis präsenter geworden – der Konsum findet zunehmend sichtbar statt. Das bestätigt unsere Sorge, dass Cannabis durch das neue Gesetz gesellschaftlich stärker normalisiert wird und die Risikoeinschätzung sinkt. Gerade bei jungen Menschen kann der Eindruck entstehen, Cannabis sei harmlos. Leider müssen wir auch feststellen, dass Minderjährige heute teilweise leichter Zugang zu Cannabis haben – etwa über volljährige Freund:innen oder Familienangehörige.

Was man nach einem Jahr allerdings noch nicht beurteilen kann, ist, ob der Konsum unter Jugendlichen tatsächlich zugenommen hat. Erste Untersuchungsergebnisse sollen gegen Ende des Jahres vorliegen. Was sich jedoch bereits deutlich zeigt, ist ein Rückgang der Gerichtsverfahren, da Cannabis nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. Auch wenn wir eine Entkriminalisierung grundsätzlich befürworten, erschwert das gleichzeitig die frühe Ansprache junger Konsumierender: Viele kamen über Auflagen im Rahmen eines Strafverfahrens in die Beratung. 

Die Villa Schöpflin steht im engen Austausch mit Polizei und Jugendhilfe im Landkreis. Was berichten diese Stellen?

Die Mitarbeitenden der offenen und mobilen Jugendarbeit berichten, dass viele Jugendliche heute sehr transparent über ihren Konsum sprechen. Das eröffnet neue Chancen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, über Risiken aufzuklären und sie in das Hilfesystem weiterzuvermitteln. Auch die Drogenberatungsstelle »Arbeitskreis Rauschmittel e.V.« gehört zu unserem Netzwerk. Gemeinsam arbeiten wir an der Entwicklung neuer Zugangswege zu Jugendlichen, um sie besser mit unseren Präventions- und Beratungsangeboten zu erreichen.

Welche alternativen Zugangswege zu Jugendlichen sind das?

Wir haben uns genau angeschaut, in welchen Fällen die Polizei oder die Jugendhilfe Konsumierende an uns vermitteln können. Beispielsweise verteilen wir sogenannte »Beratungsgutscheine« an die Justiz, Polizei und an die Jugendämter in der Region. Diese Beratungsgutscheine können die jeweiligen Institutionen in Einzelgesprächen aushändigen. Eltern bzw. Erziehungsberechtigte oder die Jugendlichen selbst können darauf ankreuzen, ob sie Beratung zu bestimmten Themen wünschen und ihre Kontaktdaten hinterlassen. Anschließend nehmen wir proaktiv Kontakt mit der Familie auf.

Darüber hinaus bieten unsere Workshops mit Schulklassen einen ersten Zugang zu Jugendlichen. Die Schüler:innen sind in der Regel zwischen 14 und 15 Jahre alt, sodass wir sie für das Thema sensibilisieren können, bevor sie möglicherweise zum ersten Mal Cannabis konsumieren. Durch die Workshops lernen sie die Villa Schöpflin, die Räumlichkeiten und die Kolleg:innen kennen. Das senkt die Hemmschwelle für eine spätere Beratung deutlich. 

Ein weiterer wichtiger Zugangsweg sind die Sozialarbeiter:innen an den Schulen. Mit ihnen stehen wir in engem Kontakt und tauschen uns regelmäßig aus. Sie können bei Bedarf Schüler:innen an uns verweisen.

In Ihrem Workshop-Angebot »Cannabis – quo vadis?« werden Schüler:innen sachlich und fundiert über das Rauschmittel informiert und die Auswirkungen des Konsums auf verschiedene Lebensbereiche veranschaulicht.  Zudem gibt es das Einzelberatungsprogramm »Realize it! X-tra«. Welche Reaktionen beobachten Sie bei den Schüler:innen?

In den Workshops wird viel darüber diskutiert, welche negativen, aber auch positiven Auswirkungen der Konsum haben kann. Besonders groß ist das Interesse daran, mehr über die körperlichen Wirkungen und die damit verbundenen Risiken zu erfahren. Ein immer wieder geäußerter Wunsch der Jugendlichen ist ein offenerer Umgang mit dem Thema – vor allem im familiären Umfeld. Auch wir empfehlen Eltern, offen mit ihren Kindern über Cannabis zu sprechen. 

In den Workshops tauchen viele Fragen rund um das neue Gesetz auf: »Was bedeutet Teillegalisierung?«, »Ab wann darf legal konsumiert werden?«, »Mit welchen Konsequenzen habe ich zu rechnen, wenn ich konsumiere?« und »Wie wirkt sich der Konsum auf den Erwerb des Führerscheins aus?« Dies erfordert eine gründliche Vorbereitung unsererseits, um die Jugendlichen mit fachlich fundierten Informationen zu versorgen. 

Insgesamt hat sich die Anzahl der Beratungsanfragen seit der Teillegalisierung nicht spürbar verändert. Zwar gibt es durch die Entkriminalisierung keine auflagengebundene Pflichtberatung mehr. Dafür kommen viele besorgte Eltern und Erziehungsberechtigte zu uns, die sich aufgrund des neuen Gesetzes Sorgen um den Umgang mit Cannabis in ihrem Umfeld oder bei ihren Kindern machen. Auch die Schulsozialarbeit hält engen Kontakt zu uns, um Jugendliche weiterzuvermitteln. 

Die neue Bundesregierung hat angekündigt, die Auswirkungen des Gesetzes zu überprüfen. Im Herbst 2025 soll eine Evaluation dazu starten. Was wünschen Sie sich aus Sicht der Suchprävention?

Wir wünschen uns einen stärkeren Fokus auf Jugend- und Verbraucherschutz. Es ist uns besonders wichtig, dass die Zugangswege zum Hilfesystem für Jugendliche klar definiert sind. Die Präventionsarbeit sollte bundesweit weiterentwickelt und dauerhaft etabliert werden, damit es mehr niedrigschwellige Beratungsangebote gibt und konsumierende Jugendliche frühzeitig erreicht werden. Dafür sind insbesondere ausreichend finanzielle und personelle Ressourcen für Beratungs- und Präventionseinrichtungen nötig. Deren Stärkung sollte bei zukünftigen Gesetzesanpassungen unbedingt berücksichtigt werden.

Lena Wehrle, Präventionsfachkraft Villa Schöpflin
Lena WehrleGesundheitspädagogin und Präventionsfachkraft bei der Villa Schöpflin

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